Warum so wenig erfolgreich?
Thesen zur Provokation
Der gewerkschaftliche Antifaschismus
Gewerkschaften in der Bundesrepublik Deutschland haben eine gute Tradition in Sachen Antifaschismus / Rechtsextremismus / Kampf gegen Rechts:
- Wir organisieren Kundgebungen und Proteste gegen rechtsextreme Aufmärsche und Veranstaltungen – und das schon seit Jahrzehnten. Zumeist finanzieren wir sie auch.
- Wir sind dabei, wenn es um öffentliche präsentiertes nazistisches, rechtsextremes, rassistisches Gedankengut geht. Wir produzieren Flugblätter, Plakate, Broschüren, Flyer, Beiträge in unseren Publikationen, Aufkleber, Buttons, Anstecknadeln, CDs und vieles andere mehr.
- Wir betreiben historische Erinnerungsarbeit, erinnern an Gedenktage, unterstützen Gedenkstätten, geben Publikationen heraus, sind zu bedeutsamen Daten (27. Januar, 08. Mai, 01. September, 09. November) öffentlich präsent.
- Wir haben bundesweite Kampagnen unterstützt: für eine doppelte Staatsbürgerschaft, für ein kommunales Ausländerwahlrecht, gegen die Änderung des Asylrechts im Grundgesetz, Durchführung interkultureller Wochen etc.
- In kritischen Zeiten der massenhaften Angriffe auf Migrantinnen und Migranten haben aktive Unterstützung proklamiert und unterstützt: Telefonketten, Solidaritätsaktionen, Schutz organisieren.
- Der Kampf gegen Rechtsextremismus ist Bestandteil unserer Bildungsarbeit: Seminare für Jugendliche und für Auszubildende, Bildungsangebote für Schulen und Berufsschulen, Bildungsmodule und ehrenamtliche Teamerinnen und Teamer.
- In unterschiedlichem Umfang thematisieren wir kritisch die Rolle der Gewerkschaften im Wettbewerb der Standorte, kritische linke Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter diskutieren mit.
Gut gemeint, aber auch verstanden?
Der gewerkschaftliche Antifaschismus / Kampf gegen Rechts oder wie auch immer er benannt sein mag, hat verschiedene Wurzeln:
Die „Nie wieder“-Tradition: Entsprungen den katastrophalen Erfahrungen der Arbeiterbewegung im Nationalsozialismus wurde die Ablehnung aller rechtsextremen Bestrebungen, alle Wiederbelebungsversuche des Nationalsozialismus und jeder Verklärung der NS-Zeit ein Kernelement des gewerkschaftlichen Selbstverständnisses. Protest und Widerstand gegen Ewiggestrige, gegen Organisationen und Parteien in der Tradition des Nationalsozialismus und deutschen Nationalismus waren und sind Selbstverständlichkeiten, die im gewerkschaftlichen Kanon nicht diskutiert werden mussten und müssen.
Deutlicher komplexer stellt sich die Gefechtslage aber dann bei der Ursachenforschung und bei der Auseinandersetzung mit Rassismus und Antisemitismus und dem Umgang mit der neuen Rechten dar: Klare Überzeugungen und persönliche Abscheu reichen nicht aus, um rassistische, antisemitische, neurechte Gesinnungsstrukturen zu erkennen, verstehen und bekämpfen.
Das zeigt sich dann im unverstandenen Wesen von Rassismus und Antisemitismus, im vertrauensvollen Hoffen auf den guten Staat und die hilfreichen Folgen von Arbeit und sozialer Gerechtigkeit für das rechtsextreme Gemüt.
Ein Ausdruck dieser Hilflosigkeit ist die Erklärung des DGB-Bundesvorstandes zu den Morden der NSU-Terrorzelle:
„Egoismus, Ellenbogenmentalität, Gier und Profitdenken haben das gesellschaftliche Klima vergiftet. Der Rechtsextremismus ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Neonazis in verschiedenen europäischen Ländern nutzen soziale Ungerechtigkeiten für ihre rassistischen Ziele, indem sie eine Ethnisierung sozialer Probleme betreiben.
Wo andere zivilgesellschaftliche Kräfte nicht mehr präsent sind, können Rechtsextreme Fuß fassen. Dabei arbeiten sie nicht nur mit brutaler Gewalt und Einschüchterung, vielfach geben sie sich bürgerlich und bieder.“ (DGB, 06.12.2011)
Noch immer prägt das Bild vom verführten rechtsextremen Menschen das gewerkschaftliche Bild. Unheilvolle Einflüsse wie der Egoismus und die Gier haben das Klima vergiftet. Soziale Ungerechtigkeit wird von den Nazis genutzt und diese tarnen sich dabei bürgerlich und bieder. Kein Gedanke daran, dass das Problem tieferliegen könnte, dass die vermeintlich Verführten vielleicht genau wissen, was sie meinen, wenn sie rassistisch und judenfeindlich reden und denken. Dass sie vielleicht sogar ein klammheimliches Verständnis für entsprechendes Handeln haben….
Das Ergebnis ist dann in erster Linie der Appell an den Staat, an die Politik: NPD und andere nationalsozialistische Organisationen verbieten, die Forderung nach einer ‚besseren‘ geheimdienstlichen Arbeit und einem schnelleren Zugreifen der Polizei, die Forderung nach mehr Bildung, nach mehr Ausbildungs- und Arbeitsplätzen. Das umgeht dann die Frage, ob Staat und Politik am Fortbestand autoritärer und rechtsextremer Denk- und Verhaltensmuster tatsächlich unbeteiligt sind. Die Kampagne zur Schleifung des bundesdeutschen Asylrechts wurde Anfang der 90er Jahre von den großen bürgerlichen Parteien geführt und sie haben in einer großen Koalition dieses Grundrecht auf eine Restgröße geschrumpft. Das vermeintliche Totalversagen der Dienste mit Blick auf die Terrorzelle NSU war möglicherwiese nur Ausdruck des Normalzustandes von Geheimdiensten: Linke bespitzeln und verfolgen und rechts nicht wissen (wollen).
Der gute alte Antifaschismus
Eine andere gewerkschaftliche Denktradition ist bis heute von einem Antifaschismusbegriff geprägt, wie er seine Wurzeln in marxistischen Faschismusanalysen, insbesondere der von Georgi Dimitrow von 1935 hat: Faschismus an der Macht sei „die offene, terroristische Diktatur der reaktionärsten, chauvinistischsten, am meisten imperialistischen Elemente des Finanzkapitals“.
Wenn auch nicht in dieser Rigidität, so hat sich doch die Analyse erhalten, dass der Faschismus in erster Linie eine besonders mörderische Abart des Kapitalismus und nur durch dessen Überwindung ebenfalls endgültig zu besiegen sei.
Unter derartigen Verkürzungen leiden natürlich wiederum alle weitergehenden Fragen: Warum handeln Menschen – in unserem Fall die abhängig Beschäftigten – gegen ihre ureigentlichen Interessen? Wieso sind sich Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zuweilen Rassisten und Antisemiten – so wie andere Teile der Bevölkerung auch? Gibt es jenseits ökonomischer Determiniertheiten auch noch so etwas wie Ideologie?
Die Annahme eindeutig ökonomischer Wurzeln für den Faschismus führt denn auch zu sehr kurz gedachten Analysen im Detail: Anstatt nach den Köpfen zu fragen, beginnt die Analyse mit den Fragen nach dem Finanzier, nach dem Interesse des Kapitals an einer NPD, den Reps und anderen.
Vom Mythos der gewerkschaftlichen Bildungsarbeit
Ein gern gepflegter Hinweis als Antwort auf rechtsextreme Herausforderungen ist der auf die Notwendigkeit der Nutzung und des Ausbaus der gewerkschaftlichen Bildungsarbeit. So nachvollziehbar das sein mag, so lohnt es sich doch einen Blick auf die Realitäten der gewerkschaftlichen Bildungsarbeit zu werfen:
Die übergroße Mehrheit der gewerkschaftlichen Seminare und Bildungsangebote sind Angebote für betriebliche Funktionärinnen und Funktionäre mit Freistellungsmöglichkeiten durch den Arbeitgeber nach Betriebsverfassungsgesetz, Bundespersonalvertretungsgesetz und Personalvertretungsgesetze der Länder oder anderen gesetzlichen Grundlagen. D.h. die überwiegende Zahl der Seminare wird durch die Arbeitgeber finanziert und muss daher bestimmten Anforderungen entsprechen. Sie orientieren sich insbesondere an dem Gebrauchswert der vermittelten Inhalte für alltägliche Arbeit von Betriebs- und Personalräten, von Schwerbehindertenvertretern und von Jugendauszubildendenvertreterinnen und –vertretern. Betriebliche Themen, Fragen der Mitbestimmung, Handlungsmöglichkeiten und Rechte der Interessensvertreter stehen im Vordergrund.
Entsprechend lesen sich diese Seminarangebote: Arbeitsrecht, Betriebsverfassung- und Personalvertretungsrecht, Schwerbehindertenrecht, Umgang mit personellen Einzelmaßnahmen usw. Diese Seminare sind das Rüstzeug, das es gewählten Betriebs- und Personalräten ermöglicht, ihre Kolleginnen und Kollegen möglichst qualifiziert zu beraten und zu unterstützen.
Darüber hinaus bieten alle Gewerkschaften gesellschaftspolitische Seminare an, die dann entweder in der Freizeit oder als Bildungsurlaub in Anspruch genommen werden können. Hier finden sich auch in überscheubarer Zahl Angebote zur Geschichte des Nationalsozialismus, zur Machtübertragung 1933 und zum Rechtsextremismus heute. Diese Seminare werden ausschließlich von den Gewerkschaften (und gegebenenfalls noch weiteren Partnern) finanziert, nicht aber von den Arbeitgebern.
Die Meinung, Gewerkschaften hätten über ihre Bildungsprogramme und über ihre Zugänge zu Betriebs- und Personalversammlungen ein ernsthaftes Handwerkszeug zur Steuerung von Meinungen und Haltungen in der Mitgliedschaft hat mit der Realität wenig zu tun.
Arbeitgeberfinanzierte Seminare eignen sich zur Vermittlung emanzipatorischer Inhalte nur begrenzt – schon weil ihr Schwerpunkt woanders liegt.
Ganz abgesehen davon: Die Teilnahme an Bildungsveranstaltungen ist auch für Gewerkschaftsmitglieder freiwillig. Das Bild einer autoritären Organisation, die die ‚richtigen‘ Inhalte und Themen nur zu beschließen brauche um dann die Arbeiterschaft zu beglücken und zu orientieren hat schon früher nur begrenzt gestimmt. Mit den Realitäten heute hat es nichts zu tun.
Auch die Möglichkeit, Betriebs- und Personalversammlungen für inhaltliche Auseinandersetzungen zu nutzen, ist begrenzt: Der politische Charakter dieser Versammlungen ist sehr unterschiedlich und die Bereitschaft unserer Mitglieder sich mit Themenauseinanderzusetzen, die sie vermeintlich akut nicht betreffen oder die ihnen eher unangenehm sind, ist nicht sehr hoch. Darin unterscheiden sich Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter kaum von anderen Menschen…
Abschied von der Gesellschaftspolitik
Wer Gewerkschaften über die Jahrzehnte erlebt und begleitet hat, wird ernüchtert feststellen müssen, dass Gesellschaftspolitik nur noch eine untergeordnete Rolle spielt. Mitgliederorientierung und betriebliche Ausrichtung stehen im Vordergrund. Geschuldet der jahrelangen negativen Mitgliederentwicklung verschwinden örtliche Bürostandorte, wird er DGB als starke gesellschaftliche Kraft in den Regionen zum Papiertiger, geht die gesellschaftspolitische Orientierung insgesamt verloren.
Die geringer gewordenen Ressourcen der Gewerkschaften werden vorrangig in betriebliche Projekte und Ansätze investiert. Die Einbindung in gesellschaftliche Debatten lässt tendenziell nach. Dies geht allerding auch konform mit den Erwartungshaltungen vieler Mitglieder, die ‚ihre‘ Gewerkschaft zunehmend ausschließlich aus ihren Kernfunktionen heraus begreifen: Individueller und kollektiver Schutz in allen Fragen des Arbeitslebens und nicht als Ersatzveranstaltung für unbefriedigende politische Parteien.
Darunter leidet allerdings vor allem das kontinuierliche antifaschistische Engagement der Gewerkschaften: Dauerhafte Arbeitsgruppen, kostenträchtige Seminare, Tagungen und Publikationen werden seltener. Die Vernetzung mit anderen zivilgesellschaftlichen Verbänden, Initiativen und Organisationen lässt nach. Letztlich gilt das für die gesellschaftliche Bedeutung von Gewerkschaften insgesamt…
Was bleibt….
Es bleibt der berechtigte Anspruch an die Gewerkschaften, dass sie in der Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus, Rechtspopulismus, Antisemitismus und Rassismus eine andere Rolle einnehmen als der Sportverein um die Ecke, die Handwerkskammer oder der Stammtisch.
Basis dafür ist nicht nur die gewerkschaftliche Geschichte, sondern auch die gewerkschaftliche Praxis der Nachkriegszeit. Der überwiegende Teil des gewerkschaftlichen Funktionärskörpers fühlt sich unverändert antifaschistischen Traditionen und Haltungen verpflichtet. Dies wird mit ungebrochener Regelmäßigkeit auf Kongressen und Tagungen bestätigt. Und das findet auch seine Bestätigung im gewerkschaftlichen Alltag, wenn es gilt sich gegen Naziaufmärsche und ähnliche Veranstaltungen zu positionieren.
Ob deswegen das Unverstandene (siehe oben) eher verstanden wird, wage ich zu bezweifeln. Aber die Voraussetzungen für Denk- und Haltungsveränderungen wären unverändert da….