19.-20.Juni 2017 Wolfsburg, Seminar des Institutes für Urbanistik – Thesen Sebastian Wertmüller zur Perspektive der Beschäftigten beim Mangel von Fachkräften.
Beitrag Fachkräftemangel Kommunen als PDF-Datei
Deswegen hier ein paar Anregungen zum Thema von der zuständigen Gewerkschaft ver.di:
Die Dimension des Fachkräftemangels wird nach wie vor unterschätzt.
Auch wenn es inzwischen Studien zur demografischen Entwicklung wie Sand am Meer gibt, auch wenn die Altersstruktur der Beschäftigten der Kommunen bekannt sind und es nur weniger Berechnungen bedarf, um festzustellen, wann es zu ernsthaften Problemen kommt, hängt das kommunale Handeln vielfach den Entwicklungen hinterher.
Schon seit vielen Jahren weist ver.di auf die dramatische Altersstruktur im öffentlichen Dienst hin. Ebenso seit vielen Jahren sind die Unterschiede zwischen der Vergütung im öffentlichen Dienst und in weiten Teilen der Privatwirtschaft ein Thema unserer Organisation. Insbesondere in der Abwägung der Attraktivität des öffentlichen Dienstes für Fachkräfte macht sich die Schere zwischen den Vergütungen bemerkbar.
Ebenfalls nicht neu ist der kommunale Trend, im Rahmen einer völlig überzogenen Sparpolitik Stellen nicht zu besetzen bzw. ganz Aufgabenbereiche zu verlagern. Anstatt um Fachkräfte zu werben, sehen diese sich eher abgeschreckt.
Der Erkenntnisprozess über die prekäre Personalsituation erfolgt nur schrittweise und die Schritte sind sehr klein: Plötzlich stellt die ein oder anderen Kommune fest, dass in Folge der Zuwanderung der letzten zwei Jahre auf dem Markt keine Sozialarbeiter/innen mehr zu finden sind. Ebenso überraschend für viele Gemeinden stellt sich heraus, dass es keine Bewerbungen mehr für Erzieherinnenstellen gibt. Oder Stellen in Bauämtern sind nicht mehr qualifiziert besetzbar.
Hier rächen sich Fehler der vergangenen Jahre: Der Folgen des Wandels der Altersstruktur wurden unterschätzt, die Attraktivität des öffentlichen Dienstes dagegen gerne überschätzt. Jetzt wo das Problem offensichtlich wird, besteht akuter Handlungsbedarf.
Die Attraktivität der Stellen und die Gewinnung neuer Fachkräfte für den Bereich der Kommunalverwaltung sind nicht zu trennen von Fragen der Vergütung.
Aufgrund der zunehmenden Diskrepanzen zwischen den Vergütungssystemen des öffentlichen Dienstes und weiten Teilen der Privatwirtschaft wird der öffentlichen Dienst im Vergleich immer unattraktiver. Das macht sich insbesondere dort bemerkbar, wo Industrie und solvente private Dienstleister deutlich bessere Vergütungsstrukturen, betriebliche Alterssicherungssysteme und sonstige Leistungen bieten, als sie der öffentliche Dienst kennt.
Dazu kommen häufig noch Gepflogenheiten bei der Eingruppierung der Beschäftigten des öffentlichen Dienstes, die die Möglichkeiten des Tarifvertrages nicht ausschöpfen bzw. nach der Devise vorgehen „preiswerter ist besser“.
Bei der zweiten Variante hat es die jeweilige Kommune selber in der Hand: Will sie im Interesse ihrer zukünftigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ebenso wie im Interesse ihrer bereits Beschäftigten ihre Attraktivität erhöhen, so ist sie gut beraten, tarifliche Spielräume zu nutzen.
Jede Kommune hat aber auch die Möglichkeit, über den Arbeitgeberverband die tariflichen Bedingungen zu verbessern. Ein kommunaler Arbeitgeberverband muss nicht per se der Bremser bei jeder tariflichen Entwicklung sein. Er kann auch im wohlverstandenen Eigeninteresse seiner kommunalen Mitglieder tarifliche Zeichen für mehr Attraktivität des öffentlichen Dienstes setzen.
Zunehmend wichtiger werden Fragen der Familienfreundlichkeit der Arbeitszeiten und die Attraktivität der Arbeitsbedingungen.
Es gibt viele moderne Instrumente der Personalarbeit, die noch keineswegs in allen Kommunalverwaltungen angekommen sind und im positiven Sinne genutzt werden. Die Gestaltung der Arbeitszeit ist dabei eine zentrale.
Was hindert Kommunen beispielsweise daran, das umzusetzen, was die Bundesregierung trotz Koalitionsvertrag gerade nicht geschafft hat? Eine Regelung, die es Teilzeitbeschäftigten ermöglicht und ihnen garantiert, wieder in Vollzeit arbeiten zu können?
Kreativität und Flexibilität bei der Gestaltung der Arbeitszeiten mit Blick auf Familienfreundlichkeit erleichtern es insbesondere Frauen, berufstätig zu bleiben bzw. mit höheren Wochenarbeitszeiten zu arbeiten.
Aber auch das Umfeld des Arbeitsplatzes senkt oder erhöht die Attraktivität des Arbeitgebers:
- Wie sind Einarbeitungs- und Übergabephasen geregelt?
- Gibt es Vertretungsregelungen bei Urlaub und Krankheit?
- Wir sieht es mit den Kindern aus? Was bietet die Kommune als Arbeitgeber den Kindern ihrer Beschäftigten?
- Wird ein kollegiales Umfeld gepflegt? Gibt es eine kollegiale Unternehmenskultur?
- Welche Rolle spielt der Personalrat in der Gemeinde? Kann er mitgestalten oder wird er ausgebremst?
- Wie ist die Führungskultur in der Kommune?
- Wie sehen die Arbeitsorte aus? Modern? Zweckmäßig? Technisch und ergonomisch auf der Höhe der Zeit?
- Wie steht es mit Sozialräumen, Teeküchen, Möglichkeiten der Pausengestaltung?
- Gibt es betriebliche Gesundheitsangebote? Gibt es Angebote mit Kooperationspartnern, die der Gesundheit dienlich sind (Fitness, Sport etc.)?
- Wie sieht es aus mit Gesundheitsmanagement, Eingliederungsmanagement, Befragungen zu Arbeitsbelastung, Arbeitszufriedenheit und Führungskultur?
In all diesen Bereichen ist jede Kommunalverwaltung selbständig handlungsfähig.
Neben der Arbeit zählen für abhängig Beschäftigte auch das weitere Umfeld des Arbeitsortes zu den Auswahlkriterien bei der Wahl von Arbeitsort und Arbeitgeber: Kitas und Schulen, Verkehrssituation (ÖPNV), Wohnungsmarkt.
Der knapper werdende Wohnungsmarkt insbesondere in den Städten führt zu steigenden Mieten und steigenden Preisen für den Hauskauf oder Hausbau. Neben Studierenden, sozial Schwächeren und Menschen mit niedrigen Einkommen leiden darunter inzwischen immer mehr „ganz normale“ Beschäftigte. Diese Problemlage ist schon länger nicht nur ein Thema von Großstädten mit hohem wirtschaftlichem Wachstum wie Stuttgart, Frankfurt oder München. Auch in Städten wie Braunschweig, Wolfsburg, Göttingen oder Hannover wird Wohnen immer teurer. Nicht ganz überraschend ist es da, dass für eine Arbeitsortentscheidung die Wohnsituation eine immer größere Rolle einnimmt: Wer sich die Gehälter von Erzieherinnen oder vielen anderen Beschäftigtengruppen des öffentlichen Dienstes betrachtet, wird schnell feststellen, dass es hier große Probleme gibt.
Kommunen können das ignorieren oder sie versuchen Antworten auf die Wohnprobleme ihrer zukünftigen Beschäftigten zu finden. Denkbare Ansätze gibt es:
- Unterstützung bei der Wohnungssuche
- Zulagen wg. Wohnsituation
- Wohnangebote für neue Beschäftigte: Übergangslösungen wie WGs und / oder Dauerlösungen
- Fahrtkostenübernahme oder Beteiligung an den Fahrtkosten, wenn gependelt werden muss
Generell gilt, dass ein ausgebauter ÖPNV, eine gute kommunale Schulausstattung, ein ansprechendes kulturelles und sportliches Angebot etc. einen Wohnortwechsel bei der Arbeitsplatzsuche erleichtern. Es ist eine kommunale Aufgabe, hier Prozesse voranzubringen – generell weil es im Sinne aller Bürger/innen ist, speziell aber auch als Botschaft an mögliche neue Beschäftigte.
Für jüngere Menschen mit Kindern spielen Kitas eine besondere Rolle: Hat die Kommune ein spezielles Angebot für ihre neuen Beschäftigten? Vielleicht auch noch abgestimmt auf dessen / deren Arbeitszeiten? Fühlen sich Personalverantwortliche für dieses Thema zuständig?
Ohne Migranten/innen keine Beschäftigung mit Zukunft
Auch wenn es noch viele Menschen in Deutschland gibt, die Arbeit suchen, wird sich über diese der akute und noch weniger der absehbare Fachkräftebedarf decken lassen. Zu unterschiedlich sind häufig die gefragten Qualifikationen zu denen der arbeitslos Gemeldeten. Zu häufig gibt es gesundheitliche oder andere Einschränkungen, die eine Einstellung verhindern. Und zu häufig wohnen und leben die Menschen ohne Arbeit nicht dort, wo Personen gesucht werden.
Auf Dauer wird der Fachkräftebedarf der Gemeinden ohne eine deutlich ausgeweitete Beschäftigung von Kolleginnen und Kollegen mit Migrationshintergrund (egal ob in Deutschland geboren, zugewandert oder Flüchtling) nicht zu decken sein.
Der Migrantenanteil im öffentlichen Dienst ist im Vergleich mit anderen Wirtschaftssektoren noch merklich unterentwickelt. Daher lohnt es sich auch hier, gezielte Strategien zur Gewinnung zu entwickeln:
- Einbeziehung muttersprachlicher Beschäftigter in die Bewerbung kommunaler Jobs
- Einbeziehung sprachlicher Kompetenzen bei Ausschreibungen und Bewerbungsverfahren
- Zusammenarbeit mit Arbeitsagentur und Jobcenter mit Blick auf die Arbeitsmarktintegration von Migranten/innen
- in größeren Kommunen: internes kommunales „Welcome Center“ für neue Beschäftigte mit Migrationshintergrund
- unterstützende Angebote in den Bereichen Sprache, Familie, soziale Integration etc.
Vorhandenes Potential entdecken und nutzen
Insbesondere Frauen sind in den kommunalen Bereichen häufig teilzeitbeschäftigt. Mit Blick auf denkbare Ressourcen lohnt sich auch der Blick auf das Nächstliegende: Wer der Teilzeitbeschäftigten wäre bereit zu einer – möglicherweise befristeten – Aufstockung ihrer bzw. seiner Arbeitszeit?
Was eine Kommune sich auch schenken kann…
Der schönste Flyer überzeugt nicht, wenn die Fakten nicht stimmen. Die beste Selbstdarstellung hilft nichts bei den anzusprechenden Personen, wenn das vermeintliche Image nicht mit der betrieblichen Realität übereinstimmt.
Deswegen warnen wir vor Imagekampagnen mit schönen Filmchen, Plakaten und Flyern. Wir raten zu nüchterner Überzeugungsarbeit anhand realer Fakten. Und vor allem raten wir dazu, die Arbeitsbedingungen in den Gemeinden so überzeugend zu verbessern, dass es keinen schönen Schein mehr braucht. Der beste Bote, die beste Botin für die Qualität eines Arbeitsplatzes im öffentlichen Dienst sind die Beschäftigten selber.
Vor diesem Hintergrund raten wir auch davon ab, einen Fokus ausschließlich auf die „Neuen“ zu setzen. Ohne die bereits kommunal Beschäftigten wird es nicht gehen und sie zu übergehen wäre wenig klug.
Wir regen daher kommunale Handlungsprogramme an, die unter Personalratsbeteiligung entstehen und längerfristige Strategien zur Gewinnung neuer Beschäftigter beschreiben. Dabei empfehlen wir eine klare Beschreibung einzelner Handlungsschritte als kurz-, mittel- oder längerfristig.