Autoritärer Sicherheitsstaat – Veränderungen der Sicherheits-architektur, Vortrag, 11 / 2018

2018-11 Vortrag Autoritärer Sicherheitsstaat 01: Autoritärer Sicherheitsstaat – Veränderungen der Sicherheits-architektur, Vortrag, 11 / 2018

Agenda

 • „Deutscher Herbst“ und die Zurichtung des Rechtsstaates

 • Mythos „schwarzer Block“ – Niedergang der Massenmilitanz

 • Friedensbewegung und ziviler Ungehorsam

 • Militarisierung der Polizei

 • Alltag und Ausnahmezustand

 • Krieg gegen den Terror

 • Angriffe aufs Versammlungsrecht

 • Versuch einer Einordnung

70er Jahre

Anschläge der RAF verschärfen gesellschaftliches Klima, neue Gesetze

 • Extremistenbeschluss 28.01.1972 (sog. Radikalenerlass)

„Anti-Terror-Paketgesetz“, 20.12.1974:

 • Ausschluss von Anwälten von Strafverfahren, wenn dringender Verdacht der Strafvereitelung besteht.

• Verteidigung mehrerer Beschuldigter durch einen Anwalt unzulässig.

• Zahl der Wahlverteidiger auf drei beschränkt.

• Gegen Angeklagten kann in Abwesenheit verhandelt werden, „wenn er sich vorsätzlich und schuldhaft in einen seine Verhandlungsfähigkeit ausschließenden Zustand versetzt hat„.

„Strafrechtsänderungsgesetz“, 22.04.1976:

 • „verfassungsfeindliche Befürwortung von Gewalt, Verbreitung von Bezug von Straftaten befürwortenden oder dazu anleitenden Schriften“ werden unter Strafe gestellt

 • „Antiterrorgesetz“ (§ 129a StGB), 18. 08.1976

 • neuer Strafbestand „Bildung terroristischer Vereinigungen“ mit bis zu zehn Jahren Haft bestraft

 • Ermittlungsbehörden wird Überwachung der Kommunikation zwischen Angeklagten und Verteidigern ermöglicht.

• Untersuchungshaft konnte angeordnet werden, auch wenn kein Verdacht auf Flucht- und Verdunkelungsgefahr bestand.

„Kontaktsperregesetz“, 26.09.1977:

• erlaubte es bei ernsthaften Gefahrenlagen, die  von einer terroristischen Vereinigung ausgehen, „jedwede Verbindung von Gefangenen untereinander und mit der Außenwelt einschließlich des schriftlichen und mündlichen Verkehrs zu unterbrechen„

 „2. Anti-Terror-Gesetz“, 16.02.1978:

 • Befugnisse der Polizei bei Fahndung nach Terroristen werden erleichtert (Wohnungen und Häuser, Errichtung von Kontrollstellen, Identitätsfeststellung).

• Verteidiger sollen durch Trennscheibe zu unter Terrorismusverdacht stehenden Mandanten auf Abstand gehalten werden.  Bei Verdacht auf konspirative Verbindungen zu Terroristen können Anwälte vom Verfahren ausgeschlossen werden.

 70er Jahre – Interpretation

 • staatsautoritäres Agieren am Rande der Verfassung

 • Wurzeln im autoritären Ordnungsstaat der 50er und 60er Jahre

 • keine „Stunde Null“ 1945, aber vielen Nazis bei der Polizei, dem BND, in den Ministerien, Verwaltung und Politik

 • „formierte Gesellschaft“ Ludwig Erhards als Bild der Nachkriegsjahre

 • sozialliberaler Modernisierungsschub Ende der 60er Jahre

 • zugleich präventive Herrschaftssicherung durch sozialliberale Bundesregierung

Schwarzer Block

 • seit 1980 Chiffre für massenhaftes militantes Auftreten bei Kundgebungen und Demonstrationen u.a. der Anti-AKW-Bewegung, der Friedensbewegung, bei Hausbesetzungen, am 1.Mai (sog. revolutionäre 1.Mai-Demos), in der Antifabewegung, gegen Globalisierung

 • Demonstrationstaktik, weniger feste Szene

 • vielfach sehr heterogen

 • einheitliche, schwarze Kleidung

 • Helme, Vermummung

 • Bewaffnung

 • Androhung und Ausübung von „Massenmilitanz“

 • als Mythos bzw. als Warnhinweis der Staatsgewalt bis heute virulent

Massenmilitanz

 • AKWs, Startbahn West, WAA, Häuser, Gelöbnisse, Naziaufmärsche, Solidaritätsdemonstrationen (3.Welt, Inhaftierte)

 • Bremen, Göttingen, Berlin, Frankfurt, Hamburg….

 • Heterogenität: libertär, autonom, antiimperialistisch

 • Bezugnahme auf militante Bewegungen in Europa (insbes. Italien)

 • militärisch erfolglos

 • Szene Ende der 80er Jahre weitgehend kollabiert  (Schüsse Startbahn 1987, Umwälzungen 1989)

Brokdorf-Urteil 1985

 • Verfassungskonforme Auslegung der Anmeldepflicht: „Die Vorschriften seien dahingehend auszulegen, dass bei Demonstrationen, die sich aus einem aktuellen Anlass augenblicklich bilden (Spontandemonstrationen), keine Anmeldepflicht besteht. (…) Keine Ausnahme von der Anmeldepflicht sei bei von zahlreichen Trägerorganisationen veranstalteten Großdemonstrationen geboten. Allerdings sei es den Anmeldern hier nicht immer zuzumuten, eine Gesamtverantwortlichkeit für die Demonstration zu übernehmen.„

 • Kooperation zwischen Veranstaltern und Behörden: Die Schwelle für ein behördliches Eingreifen in Demonstrationen zum Schutz von Sicherheit und Ordnung sei umso höher, je mehr die Versammlung von Demonstrationen vertrauensbildende Maßnahmen unternehmen oder zur Kooperation mit den zuständigen Behörden bereit seien. Es sei Pflicht der Behörden, ihrerseits versammlungsfreundlich zu verfahren und zum Zustandekommen einer Kooperation beizutragen.

• Schutz der Versammlungsfreiheit friedfertiger Teilnehmer: Die Versammlungsfreiheit friedfertiger Demonstrationsteilnehmer bleibe auch dann erhalten, wenn mit Ausschreitungen Einzelner oder einer Minderheit zu rechnen ist. Ein Verbot komme erst dann in Betracht, wenn eine Demonstration im Ganzen einen unfriedlichen Verlauf nimmt oder der Veranstalter einen solchen Verlauf anstrebt oder billigt; auch hier seien jedoch seitens der Behörden zunächst alle Mittel auszuschöpfen, die den friedlichen Demonstranten eine Grundrechtsverwirklichung ermöglichen

 • Anforderungen an die Gefahrenprognose bei Verboten: Da Verbote und Auflösungen von Versammlungen erst bei unmittelbarer Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung ergehen könnten, seien strenge Anforderungen an die anzustellende Gefahrenprognose zu erfüllen. Verdacht oder Vermutungen reichten nicht aus, vielmehr müsse die Prognose auf konkreten Tatsachen, Sachverhalten und sonstigen Einzelheiten beruhen.

Friedensbewegung, neue Protestformen

 • eine neue Protestkultur: Menschenketten, Demonstrationen, Blockaden, Gewaltfreiheit, ziviler Ungehorsam

 • Konflikte in der Friedensbewegung: Kritik an Aktionsformen, BUF, BAF, KOFAZ, KA….

 • Polizeistrategien passen sich Protestformen an: friedliche‘ Räumungen (Republik Freies Wendland, Mutlangen), Aufrüstung geht weiter

Aufrüstung

• im Demonstrationsgeschehen: Schlagstöcke (kurz, lang, Tonfa), Reizgas, Schutzwesten, Protektoren, Helme

 • Handschellen, Handfesseln

 • Wasserwerfer, Räumpanzer

 • moderne Schusswaffen

Aufrüstung – Militarisierung

 Trends:

 • Maschinenpistolen, Granatwerfer, Sturmgewehre (insbes. SEK, Bundespolizei)

 • gepanzerter Fuhrpark

 • Kooperationen Polizei – Rüstungsindustrie

 • Kooperation bei Ausbildung / Übung polizeilicher und militärischer Eliteeinheiten

 • Terrorismusbekämpfung als Agieren  im Ausnahmezustand

 Überwachung / Datenbanken

 • permanenter Ausbau: Kameras im öffentlichen und privaten Raum, Kameraüberwachung bei Sportereignissen wie bei Demonstrationen, Gesichtserkennung, Bodycams

 • Datenbanken: Immer wieder neue zu entdecken, immer wieder neue Skandale (Linke, Migrantengruppen,  Hooligans…)

 • Gesetze: Staatstrojaner

Überwachung per Gesetz

 • Ausweis- und Passbilder dürfen von Geheimdiensten vollautomatisch abgerufen werden. (Drucksache 18/11279, Drucksache 18/12417).

 • BKA-Gesetz erweitert Zuständigkeiten des BKA und hebt Trennungsgebot zwischen Nachrichtendiensten und Polizei, auf. (BKAG)

 • Neues Bundesdatenschutzgesetz weicht Datenschutz auf – Videoüberwachung, Scoring, Profiling, Betroffenenrechte und Gesundheitsdaten (BDSG)

 • Vorratsdatenspeicherung aller Fluggastdaten beschlossen. (BGSG)

 • Ab 1. Juli 2017 Speicherung Kommunikationsbeziehungen aller Bürgerinnen und Bürger –Vorratsdatenspeicherung. Kurz vor Start, wird Schutz der Daten gesetzlich ausgehebelt und Katalog der Tatbestände, für die diese Daten genutzt werden können, ausgeweitet (18/12359).

 • Zur Aufklärung von Wohnungseinbrüchen sollen Handydaten aus Umgebung in großem Umfang von Ermittlungsbehörden genutzt werden (18/12359)

 • IT-Sicherheitsgesetz: „Internet-Anbieter bekommen mehr Möglichkeiten, Datenverkehr ihrer Kunden zu überwachen und zu filtern.“ (BSI-Gesetz)

 • Start des Cyberkriegskorps der Bundeswehr (BigBrotherAwards)

 • Das Prostituierten„schutz“gesetz zwingt Prostituierte, sich anzumelden, und es hebt die Unverletzlichkeit der Wohnung aller Bürger/innen in Deutschland auf. (ProstSchG)

Alltag und Notstand

 • Personalabbauprogramme vieler Länderpolizeien bis vor wenigen Jahren

 • Umsteuerung auf Spezialeinheiten und hohen Technikeinsatz

 • vermeintliches Sicherheitsgefühl in Bevölkerung leidet – Polizei als „normale“ Polizisten/innen wenig wahrnehmbar

 • Sondereinsatzgebiet Fußball: viel Personal, viel Kontrolle und Technik, Einsatz gegen „Hooligans“ – Testfeld für den Demonstrationsalltag?

Krieg gegen den Terror

 • verschiedene Anti-Terror-Gesetze, darunter Terrorismusbekämpfungsgesetzes (TBG)

 • Verschärfung: Gesetz zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses des Rates vom 13. Juni 2002 zur Terrorismusbekämpfung und zur Änderung anderer Gesetze, 22. 12. 2003

 • Verschärfung der Polizeigesetze der Länder und des Bundes

 • Verstärkte Sicherheitsvorkehrungen für gefährdete Objekte (z. B. Botschaften, Konsulate USA, Großbritannien, Synagogen)

 • Verstärkte Zusammenarbeit Sicherheitsbehörden Bund und Länder

 • Sammlung sämtliche Angaben über Personen, über die sich durch Querverweise ein Verdacht auf geplante Attentate erhärten könnte in „Antiterrordatei“.

 • geheime Vereinbarung, wonach der BND große Datenmengen aus Fernaufklärung der NSA zur Verfügung stellt (Überwachungs- und Spionageaffäre 2013)

Versammlungsrecht

 • seit 2016 Ländersache (Föderalismusreform)

 • seitdem Flickenteppich verschiedener Ländergesetze bzw. Fortwirken altes Bundesgesetz

 • neue Gesetze in vielen Bundesländern (u.a. Niedersachsen, Verfassungsbeschwerde gescheitert)

 • fast durchgängig Einschnitte bei Ländergesetzen gegenüber Bundesgesetz

 • Kontrolle im Vordergrund

Versammlungspraxis

 • jenseits geänderter Gesetze zunehmend einschränkende und abschreckende Auflagen und Überwachung:

 • Ordner (Listen vorab, Einweisung mit Polizeipräsens, überdimensionierte Zahlenvorgaben)

 • Auflagen zu Musikanteilen, Lautstärke

 • Beschränkung bei Demonstrationsmitteln (Transparentbreite, Länge von Fahnenstangen, Megaphone

 • Beschränkungen bei Strecken und Plätzen

 • Missachtung Brokdorf-Urteil bzgl. drohender „Gefahren“

 • öffentliche Stimmungsmache gegen Demonstrationen (Gewaltszenarien)

 • polizeiliches Filmen

NPOG – Polizeigesetze der Länder

 • neue Polizeigesetze reihen sich ein

 • z.T. unbestrittener Regelungsbedarf (neue Technologien, neue Herausforderungen)

 • überbordender Regelungs- und Überwachungswahn

 • Anforderungsdruck vor allem aus Polizei und Innenministerien

 • islamistischer Terror als Allzweckargument

 • „Gefährder“, „drohende Gefahr“, „dringende Gefahr“ – unklare Rechtsbegriffe sorgen für Unklarheit

 • Als Gefährder werden im Recht der Gefahrenabwehr Personen bezeichnet, die weder Handlungs- noch Zustandsstörer sind, bei denen aber „bestimmte Tatsachen die Annahme der Polizeibehörden rechtfertigen, dass sie Straftaten von erheblicher Bedeutung, insbesondere solche im Sinne des § 100a der Strafprozessordnung (StPO), begehen“ werden.

• Handlungsspielräume von Polizei und Sicherheitsdiensten werden ausgeweitet

Fazit

 • Polizei- und Sicherheitsgesetze immer Ausdruck der demokratischen Verfasstheit eines Landes

 • autoritärer gesellschaftlicher und politischer Diskurs bedingt den Rahmen

 • keine Bedrohung des Staates / der Gesellschaft erkennbar (soziale Kämpfe, revolutionäre Bestrebungen, Umsturz- oder Putschpläne…)

 • Bedrohung aber durch Teile der „bürgerlichen Mitte“ (AfD, nationale Flügel von CDU und CSU)

 • Staatsgewalt ohne gesellschaftlichen Widerstand wird ausgeweitet