Rede Sebastian Wertmüller, Anschlag Halle 09.10.2019
Kundgebung Bündnis gegen Rechts
12.10.2019, Braunschweig
herzlich willkommen im Namen des Bündnisses gegen Rechts
als wir vor einigen Wochen am 05. Juli hier wg. der Ermordung des Kasselers Regierungspräsidenten Walter Lübcke demonstrierten, hatte ich mich am Ende der Veranstaltung bedankt und gesagt, dass wir wieder rufen werden, wenn es nötig ist
dass das so schnell der Fall sein wird und dass das einen so gruseligen Anlass haben wird, hatte ich mir nicht vorstellen können
jetzt ist wieder ganz viel Betroffenheit im Lande – nach einem zum Glück gescheiterten antisemitischen Angriff auf die Synagoge und auch der willkürlichen Ermordung zweier Menschen
eine Betroffenheit, die gut und notwendig ist, die man sich aber auch schon öfters gewünscht hätte:
gewünscht hätte, wenn Menschen aufgrund ihres Hautfarbe, ihres Aussehens, ihres Kopftuches, ihrer sexuellen Orientierung oder ihrer politischen Arbeit angegriffen wurden und werden
an Geschmacklosigkeit kaum zu überbieten ist es, wenn im Oktober 2019 Politikerinnen von „Alarmzeichen“ schwadronieren oder Politiker die Terrorattacke als „unvorstellbar“ bezeichnen
wo habend diese Repräsentanten des Landes gelebt, als in den letzten Jahren Flüchtlinge, andere Migrantinnen und Migranten, Obdachlose und Punks von Nazis ermordet wurden?
was haben sie gelernt, wenn immer wieder untersucht und thematisiert wurde, wie das rassistische und völkische Gift sich in der Mitte der Gesellschaft breitmacht?
jetzt wird wieder über den Schutz jüdischer Einrichtungen in unserem Land diskutiert
natürlich ist es ein unglaublicher Skandal, wenn es Bundesländer gibt, in denen jüdische Einrichu8tngen nicht im besonderen Maße von der Polizei geschützt werden
der eigentliche Skandal ist aber, dass es seit Jahrzehnten in Deutschland kein jüdisches Gemeindeleben ohne Sicherheitsschleusen, Wachdienste, Videoüberwachung und polizeilichen Schutz geben kann
das hat nichts mit ankommenden Flüchtlingen zu tun, das war auch vor 20 Jahren schon so
und alle haben sich daran gewöhnt – wahrscheinlich auch die Betroffenen
weil man über das rechtsextremen Potenzial und über den grassierenden Antisemitismus nicht reden wollte und – ich füge hinzu – eigentlich auch heute nicht wirklich reden will
dabei geht es inzwischen bei jedem weiteren Verbrechen um immer mehr:
- es geht um den Erhalt einer liberalen Demokratie
- um Meinungsfreiheit und Pressefreiheit
- um Schutz vor digitaler und realer Verfolgung – unser Sprecher David Janzen steht dafür
- um die Sicherung eines friedlichen Zusammenlebens und Zusammenarbeitens – unabhängig von Religion, Herkunft, Geschlecht und Überzeugung
aber wir haben auch konkrete Erwartungen: tut endlich das, was Ihr schon längst hättet tun können:
- schafft eine Anlaufstelle für Verfolgte und Diskriminierte in jeder größeren Stadt – auch hier bei uns
- schafft eine Einrichtung, die Opfer rechter Gewalt berät, die Schulen, Jugendeinrichtungen, Verbände usw. bei der Demokratiebildung unterstützt
- nehmt die Recherche ernst, die Antifaschistinnen und Antifaschisten in der rechten Szene betreiben – nicht erst dann, wenn es Verletzte und Tote gibt
- sichert Beratungseinrichtungen materiell ab, anstatt sie alle paar mit der Existenzfrage zu konfrontieren
- äußert Euch immer diskriminierungsfrei, lauft nicht den Forderungen der AfD hinterher wg. angeblich unsicherer Grenzen
- eine Gefahr für die Sicherheit lauert nicht an Europas Grenzen, die Gefahr sitzt und hetzt in Europas und Deutschlands Parlamenten
- helft den Opfern von Verfolgung
- und dazu gehört auch, dass mein eine städtische Halle nicht widerstandsfrei an Rechtsextremisten und Faschisten vermietet
ich und einige andere hier auf dem Platz können auf einige Regalmeter von Untersuchungen zum Antisemitismus, zum Rassismus, zum Nationalismus und zum Rechtsextremismus verweisen
hätten Politikerinnen und Politiker in den letzten Jahren auch nur Teile davon gelesen und realisiert, unser Problem wäre kleiner
wir haben jetzt eine große Aufgabe vor uns: die Partei, die an vorderster Stelle das gesellschaftliche Klima, die Meinungsfreiheit und das normale Zusammenleben zu ruinieren versucht, die will am 30.11. und 01.12 hier ihren Bundesparteitag durchführen
da gilt es den Teilnehmern zu zeigen, was wir von ihnen halten
aber vor allem gilt dem übergroßen demokratischen Teil der Gesellschaft in gesundem Selbstbewusstsein deutlich:
- mit dieser Partei reden wir nicht
- die wollen wir nicht, wer formal demokratisch gewählt wurde, wird dadurch noch lange nicht zum Demokraten
- ihr Reden, ihre Ideologie, ihren Rassenwahn bekämpfen wir, überall, an jedem Ort und zu jeder Zeit
in diesem Sinne gilt unsere volle Solidarität und Anteilnahme heute den Jüdinnen und Juden und ihren Einrichtungen in Deutschland, den Mordopfern vom Mittwoch und ihren Angehörigen, sie gilt den Diskriminierten und Ausgegrenzten, egal ob es Muslime, Sinti und Roma, Schwarze, LGBTs oder wer auch immer sind
und unsere ganze Empörung und unsere ganze Entschlossenheit richtet sich gegen die Täter und gegen ihre zahlreichen Brüder und Schwester im Geiste
Sebastian Wertmüller, 12.10.2019