Redebeitrag Sebastian Wertmüller am 12.04.2024 in Solidarität mit der Braunschweiger und der Oldenburger Jüdischen Gemeinde vor der Synagoge in Braunschweig
Rede Wertmüller Solidarität Jüdische Gemeinde 12.04.2024 Braunschweig, PDF-Datei
Statement Sebastian Wertmüller, Kundgebung Synagoge, 12.04.2024
Begrüßung, Eröffnung
im Namen der drei Veranstalter, der Deutsch-Israelischen Gesellschaft, der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit und der Gewerkschaft ver.di
viele der Anwesenden, wie ich auch, schon öfters aus ähnlichen Anlässen hier gestanden
und am 09.11. in Erinnerung an die Novemberpogrome 1938
Redner/innen:
- Kerstin Schirbel (Vorsitzende der Deutsch-Israelischen Gesellschaft)
- Thorsten Kornblum (der Oberbürgermeister unserer Stadt)
- Atakan Koçtürk (Sprecher des Stadtschülerrates und beteiligt am schulischen Dialogprojekt) zum Thema Israel und Palästina)
- Werner Busch (Gesellschaft für christlich.-Jüdische Zusammenarbeit)
- Sebastian Wertmüller
- Lars Dedekind
wen man schon etwas älter ist und sich erinnert, wie oft man schon zum Thema Antisemitismus gesprochen oder Veranstaltungen und Kundgebungen organisiert hat, erschrickt man noch mehr – als wenn man nur an den konkreten Anlass denkt
auch wenn die Täter des Oldenburger Anschlages noch nicht ermittelt sind, ist dennoch eines klar
es waren Judenhasser, es waren Antisemiten
und der enorme Anstieg antisemitischer Vorfälle und Anschläge seit dem 07.10., dem Massaker der Hamas in Israel und der israelischen Kriegsführung gegen die Hamas, legt die Vermutung nahe, dass es da einen Zusammenhang gibt
heute ist ein wichtiger Tag, um über Antisemitismus zu sprechen und darüber, warum er trotz vieler ablehnender Bekenntnisse, zunimmt
unser Land lebt seit Jahrzehnten mit einer dauerhaften Judenfeindlichkeit, die zwar manchmal ihren Charakter verändert, aber sichtbar und bedrohlich bleibt
- da haben wir den klassischen Antisemitismus von Rechtsaußen
- die allgemeinen Vorurteile gegenüber Juden, denen es angeblich immer nur ums Geld geht und die im Geheimen unendlich viel Macht und Einfluss haben
- da ist dann der Weg nicht weit zu anderen Verschwörungserzählungen und zu einem linken Antisemitismus, der sich gerne als sog. Israelkritik oder als Antizionismus ausgibt
- und insbesondere ein israelbezogener Antisemitismus ist bei Menschen mit Migrationshintergrund überproportional anzutreffen
um es auf den Punkt zu bringen: Kritik an der Kriegsführung Israels gegen die Hamas ist nicht das Problem
wenn diese Kritik aber auf das ganze Land und auf alle Jüdinnen und Juden projiziert wird ist der Weg zum Übergriff nicht mehr weit
und wenn dem einzigen jüdischen Staat die Existenzberechtigung abgesprochen wird und wenn der barbarische Angriff auf die Menschen in Israel entweder geleugnet oder zum Freiheitskampf stilisiert wird, dann ist das Antisemitismus pur
und was wir auch gerne verdrängen:
Antisemitismus ist nicht nur eine schlimme Haltung und ein böses Ressentiment: Antisemitismus ist untrennbar verbunden mit den Vorstellungen von Auslöschung und Vernichtung – nicht nur in der Geschichte, sondern auch heute
wer die Rückkehr aller geflüchteten Palästinenser einschließlich aller Angehörigen nach Israel fordert, wer die Terrororganisation Hamas zur Befreiungsbewegung verklärt, schließt den Tod von Jüdinnen und Juden, in seine angebliche Kritik an Israel mit ein
seit dem 07.10. sind die Erwartungen an einen solidarischen und an einen schützenden Umgang mit den Juden in unserem Land noch einmal klarer und drängender geworden
Erwartungen an die Zivilgesellschaft, an die Politik, an die Sicherheitskräfte
der unendliche Skandal der deutschen Nachkriegsgeschichte, dass sich Jüdinnen und Juden nur unter Polizeischutz zur Religionsausübung treffen können, dass sie keinen Kindergarten oder irgendeine andere Einrichtung ohne außerordentliche Sicherheitsmaßnahmen betreiben können, dass versucht wird, sie per Boykott zu verdrängen, muss ein Ende haben
eine Wissenschafts- und Kulturszene in Deutschland, in der der unterschwellige Antisemitismus in der Mitte der Gesellschaft spätestens seit der letzten Documenta offensichtlich geworden ist, hat jedes Anrecht auf entschiedenen Widerspruch
natürlich wollen die feinsinnigen sogenannten Israelkritiker und die antizionistischen Antikolionalisten mit schmutzigen Brandanschlägen auf Synagogen nichts zu tun haben
über ihren Beitrag zum ideologischen Treibstoff wollen sie nicht sprechen
das dröhnende Schweigen und die höchst bescheidene Solidarität nach dem Massaker und den Geiselnahmen im Oktober beschämen mich
10.000de rufen auf Kundgebungen „Nie wieder ist jetzt“ – ein paar mehr von ihnen solidarisch vor den Synagogen anzutreffen, das würde unserem Land sicher guttun
aber bei allem Pessimismus: Wir halten uns an den Philosophen Antonio Gramsci – „Pessimismus der Gedanken – Optimismus der Tat!“
liebe Freundinnen und Freunde der Jüdischen Gemeinde: Wir sind bei Euch – immer wenn Ihr uns braucht und sonst auch
Danke schön für die Aufmerksamkeit