Zivilgesellschaft aktiv: Das #buntstadt-Projekt in Braunschweig

Zivilgesellschaft aktiv: Das #buntstadt-Projekt in Braunschweig

Thesen zu Sinn und Unsinn

#buntstadt-Projekt in Braunschweig.pdf: Zivilgesellschaft aktiv: Das #buntstadt-Projekt in Braunschweig

Voraussetzungen

Der fatale Aufwuchs des Rechtsextremismus findet schon seit Jahren statt – sowohl im Parteiengefüge wie auch in den Szenen der Aktivistinnen und Aktivisten. Sprach man mit Blick auf die AfD anfangs noch beschönigend von Rechtspopulismus, so ist heute das Ausmaß des Rechtsextremismus inzwischen auch dem Verfassungsschutz und der liberalen Zivilgesellschaft bewusst. Rechtsextremistische Straftaten nehmen rasant an Zahlen zu – nicht nur verbale Delikte, auch die nackte Gewalt. Opfer sind – bisher – in erster Linie Migrantinnen und Migranten, queere Menschen und politische Gegner.

Um es selbstkritisch auf den Punkt zu bringen: Der klassische Antifaschismus in seiner bekannten Mischung aus Gegendemonstrationen (gegen rechtsextreme Aufmärsche und Veranstaltungen), Aufklärungsarbeit, Erinnerungskultur und moralischen Appellen war nicht nur nicht erfolgreich. In der Auseinandersetzung mit der AfD und mit dem Rassismus, Antisemitismus und Nationalismus aus der Mitte der Gesellschaft, ist er ein Totalausfall.

Wo sich leichter hunderte Menschen zu einer Gegendemonstration gegen kleine Aufzüge der Naziszene mobilisieren lassen, als die aktiv die Auseinandersetzung in der vielbeschworenen Mitte der Gesellschaft zu führen, muss man sich Sorgen machen.

Und hier versucht #bunstadt anzusetzen: Eher niederschwellig („gegen Hass und Hetze“, „für Demokratie“) soll versucht werden, am gesellschaftlichen Klima zu arbeiten. Die Energie von der Großdemonstration im Januar 2024 gegen die Remigrationsdiskurse der radikalen Rechten sollte nicht verpuffen, sondern dort sollte angesetzt werden, wo sich die Zukunft der Demokratie entscheiden wird. Und da wird zentral sein, ob sich die CDU noch weiter nach rechts entwickelt und sie irgendwann auch die AfD als Regierungsoption begreift. Da spielt eine Rolle, ob die SPD wieder Fuß fast oder ob sie sich im regierungssüchtigen Reformeifer irgendwann endgültig zerlegt (inhaltlich wie personell). Und auch Grüne und Linke sind nicht außen vor: Sind sie in der Lage, Verantwortung zu übernehmen und ihre Rolle auszufüllen, wenn es eine rechtsextreme Regierungsbeteiligung zu verhindern gilt?

In dieser Gemengelage eine Rolle einzunehmen, das macht den Stellenwert eines erfolgreichen Antifaschismus aus, der Schlimmstes verhindern will.

Die Genese

Anfang 2024 treffen sich auf Einladung des Vereins „Forum gegen Rechts“ der Gewerkschaft ver.di 30 – 40 Personen aus Gewerkschaften, Kirche, Kultur, Vereinen und Initiativen im Braunschweiger Gewerkschaftshaus, um Aktivitäten zu den Europawahlen im Juni 2024 zu beraten.

Auslöser sind der zunehmende Rechtsruck, die von Nazis angezettelte Debatte um eine „Remigration“ zugewanderter Menschen und natürlich das Auftreten und die Hetze der AfD.

Wie so häufig bei derartigen Anlässen gibt es viele neue und ältere Vorschläge, was zu tun wäre, um jenseits der eigenen Blase für Demokratie und Vielfalt und gegen Rassismus, Antisemitismus und rechte Hetze antreten könnte. Und ebenfalls nicht zum ersten Mal: Der Weg zur Umsetzung war und blieb unklar, bei einem Folgetreffen waren etwas weniger und teilweise wieder andere Menschen präsent. Schlechte Voraussetzungen auf jeden Fall, um zielgerichtet und längerfristig weiterarbeiten zu können und aktionsfähig zu werden.

Aber eine Idee gab es doch und die trägt bis heute: „#buntstadt“!

Mit #buntstadt ist aus dieser Vernetzung ein Claim entstanden, der ein positives Bild bieten sollte – einen Namen und eine Optik, die für Vielfalt, Lebendigkeit und Kreativität stehen.

Und um das deutlich zu machen wurde #buntstadt frei verfügbar gemacht: Ohne Nutzungsrechte, ohne Copyright, in unterschiedlichen Formaten als druckfähige Grafikdatei steht der Claim allen zur Verfügung. Einzige Schutzmaßnahme: Die Gewerkschaft ver.di hat #buntstadt als Marke ins deutsche Markenregister eintragen lassen – die Rechten können die Markenrechte nicht mehr nehmen.

Mit der Perspektive Europawahlen und mit dem 75. Jahrestag des Grundgesetzes am 23.Mai 2024 wurde #buntstadt dann tatsächlich lebendig:

  • Eine gemeinsame Erklärung von Arbeitgeberverband, Deutscher Gewerkschaftsbund, Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft, Gewerkschaft der Polizei, Großhandels– und Dienstleistungsverband, Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten, Handwerkskammer, Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie, Industriegewerkschaft Metall, Industrie– und Handelskammer, Niedersachsenmetall und Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft bezog Position: https://braunschweig.buntstadt.de/statement-fuer-demokratie-und-vielfalt-in-deutschland-und-europa/
    Zugegebenermaßen ist das nicht die erste Erklärung mit dieser Intention und die meisten dieser Texte bleiben eher folgenfrei. Aber: Die erste Erklärung dieser Art in Braunschweig seit längerem und – geplant oder ungeplant – wurde sie zur Basis einiger weiterer Aktivitäten.
  • Dann Tag des Grundgesetzes am 23.Mai: Aud einen Aufruf von IG Metall und ver.di gibt es erstmalig einen betrieben Aktionstag „Zeit für Demokratie – gegen Hass und Hetze“, der mit einer Kundgebung vor dem Dom endet: https://braunschweig.buntstadt.de/wir-fuer-demokratie-und-vielfalt
    Eine ganze Reihe von Betrieben, Einrichtungen und Dienststellen in Braunschweig (und zum Teil darüber hinaus) beteiligen sich mit Bannern und Fahnen, mit betrieblichen Aktionen, mit Buttons und Aufklebern.
    Für viele Aktive von war und ist diese Form des betrieblichen Agierens ungewohnt und ungeübt. Noch schwieriger, wird es, wenn auch noch Arbeitgeber dieses Engagement positiv begleiten…

Der „Vereint für Demokratie-Fonds“

Öffentliche Mittel für Demokratiearbeit gibt es nur sehr spärlich und sie sind mit hohen Hürden verbunden: Antragssteller müssen gemeinnützig sein, lange Antragsfristen, aufwändige Anträge, aufwändige Abrechnungen und dann auch noch wenig Geld unter sehr restriktiven Vorgaben. Der Staat traut seinen Bürgerinnen und Bürgern nicht über den Weg – auch wenn sie antifaschistische Demokratiearbeit betreiben. Die Folge: Kurzfristige Aktivitäten, die Arbeit von Netzwerken, von Initiativen etc. sind außen vor.

Umso schöner, dass die #buntstadt-Idee doch noch einen großzügigen Sponsor gefunden hat: Der Fonds ‚Vereint für Demokratie‘ (https://vereintfuerdemokratie.de) hat #buntstadt entdeckt und formlos und großzügig gefördert – die Homepage, die Konferenz, den Plakatwettbewerb, die Materialien wie Buttons und Aufkleber, den Tag der Demokratie…. Danke dafür, dass es auch ein Mäzenatentum jenseits von Bürokratie, Verwaltung und politischer Einflussnahme gibt!

Plakatwettbewerb „Wir gegen Rechtsruck“

Die Idee entstand im Braunschweiger Verein Forum gegen Rechts, der schon mehrfach als Ideengeber gewirkt hat: Ein Plakatwettbewerb gemeinsam mit der Braunschweiger Gruppe des Berufsverbandes Bildender Künstler*innen wird ausgelobt. Mit dabei u.a. #buntstadt (natürlich!), die IG Metall, ver.di, die Stiftung Leben und Umwelt, kopra e.V. und der „Vereint für Demokratie-Fonds.

Der Grundgedanke: Künstlerinnen und Künstler werden aufgerufen, Plakatentwürfe gegen den Rechtsruck einzusenden. Es gibt drei Preise und weitere zehn Anerkennungshonorare, was die Teilnahme auch finanziell interessant macht.

Wichtig ist eine Teilnahmevoraussetzung: Die Rechte an den ausgezeichneten Beiträgen werden abgegeben, die Plakate werden freigegeben, sie werden auf der #buntstadt.Braunschweig-Homepage veröffentliche und druckfähig zum Download freigegeben. 400 Einreichungen von knapp 200 Künstlerinnen und Künstlern sind die Folge. Eine Jury wählt die Preisträgerinnen und Preisträger im April 2025 aus: https://braunschweig.buntstadt.de/2025/05/05/pressemitteilung-preise-im-kunstwettbewerb-verliehen

Die Wettbewerbsbeiträge gibt es zwischenzeitlich auch gedruckt als Postkartenset mit 13 Künstlerpostkarten und sie werden auch weiterhin öffentlich gemacht.

#buntstadt-Konferenz – die nächste Idee

Um einen etwas größeren Blick zu wagen und um sich die für die für Herbst 2025 angekündigte Bundestagwahlen längerfristig vorzubereiten, soll es noch im Herbst 2024 zu einer Konferenz kommen, zur #buntstadt-Konferenz. Aber dann doch alles anders: Die Regierungsampel löste sich im Chaos auf, die Neuwahlen wurden vorgezogen und die Langfristplanung für eine Konferenz, um Kampagnen zu diesen Wahlen vorzubereiten, war obsolet. Also Konferenz verschoben und erst am 15.03.2025 war es so weit (https://braunschweig.buntstadt.de/2025/01/24/buntstadt-konferenz-am-15-maerz):

  • etwas 130 Teilnehmerinnen und Teilnehmer ganztägig in den Räumen der TU
  • um die zehn inhaltlichen Workshops, die aber alle auf eine Handlungsstrategie ausgerichtet sein sollten
  • viele Menschen dabei, die man nicht schon von einschlägigen Veranstaltungen kannte
  • viele Vernetzungen, viele Verabredungen

Die #buntstadt-Folgekonferenz

Am 16.06. ging es weiter, wieder in der TU findet das Nachfolgetreffen statt. Um die 60 Interessierte blicken zurück auf das bisherige Geschehen – und planen weiter. Das nächste Ziel wird dann der „Tag der Demokratie“ am 15.09.2025.

Außerdem: Die drei Preisträger/innen des Plakatwettbewerbs „Wir gegen Rechtsruck“ stellen sich vor und werden gewürdigt.

Tag der Demokratie – das aktuelle Projekt

Der eher wenige bekannte „Tag der Demokratie“ wird der Tag der nächsten Aktionen in Braunschweig unter den #buntstadt-Label. Wieder haben sich Vereine und Verbände der Zivilgesellschaft zusammengefunden, wieder gibt es eine sehr allgemeine Plattform, wieder ist es das Ziel, aus den eigenen Blasen herauskommen und die Debatte über die Zukunft von Integration, Zusammenleben und Demokratie in die weitere Gesellschaft zu tragen. (https://braunschweig.buntstadt.de/veranstaltung/internationaler-tag-der-demokratie)

Ob es gelingt, kann zum Zeitpunkt, zu dem der Text geschrieben wird, noch nicht gesagt werden.

Kritische Anmerkungen, von einem der von Anfang an dabei war

Viele Ideen und wenig Praxis: Auch in Braunschweig gibt es viele Gedanken und Anregungen, was zum Erhalt der Demokratie zu tun wäre. Aber es fehlen die Treiber, die koordinieren, organisieren, zusammenführen und kommunizieren wollen und können.

Zugleich hat sich die linke Szene weitgehend abgemeldet oder beobachtet von der Seitenlinie. Es gibt – zum Teil berechtigte – Kritik in der inhaltlichen Dünne des #buntstadt-Projekts. Leider gibt es aber keine Selbstreflexion über die eigene Erfolglosigkeit und die eigene Isolation in einer Gesellschaft, die sich immer weiter nach rechts bewegt.

Das #buntstadt-Projektführt bisher zu wenig Debatten über seine inhaltlichen Schwerpunktsetzung: AfD-Verbot – ja oder nein? Umgang mit der AfD im Alltag in den Kommunalparlamenten, in den Ausschüssen, in der Öffentlichkeit? Passt man sich dem rechten Mainstream schon an, wenn man die AfD nicht prioritär thematisiert oder gibt man einem größeren Diskurs für mehr Demokratie und mehr Teilhabe den Raum, wenn man den Bogen sehr, sehr breit spannt? Muss man nicht endlich mit ganz vielen CDUlern sprechen, bevor die vor lauter Angst vor der rechtsextremen Konkurrenz keine Bandmauern mehr kennen wollen?

Wenn Sie solche Fragen diskutieren wollen, schreiben Sie bitte.