Gegen jeden Antisemitismus

Gestern am 07.10.2025 auf einer Gedenkkundgebung aus Anlass der Terrorattacke der Hamas vor zwei Jahren auf dem Weißkreuzplatz Hannover. Etwa 200 Menschen folgten dem Aufruf von Solidarity Unlimited u.a. Junge und Ältere hörten mehrere gute und sehr gute Redebeiträge (wie immer etwas länglich) u.a. von einem Mitglied der Liberalen Jüdischen Gemeinde, von Queer-Feministinnen von Solidarity Unlimited und von Eshkar Eldan Cohen, einer feministischen Künstlerin und Autorin, die jetzt in Berlin lebt. Alle hörten aufmerksam zu, Parolen gab es keine, dafür Betroffenheit, Gedenken und Reflexion.

Ein bedeutsamer Satz aus der Eröffnungsrede: „Unser Kampf gegen Antisemitismus darf nicht rassistisch sein, und unser Kampf gegen Rassismus darf nicht antisemitisch sein.“

Wer nicht da war: Die linke Politszene, Friedensbewegung und linke Parteienlandschaft mit ihren Fahnen, Transparenten, Handzetteln, Schildern und Abzeichen glänzte durch Abwesenheit – Einzelpersonen ausgenommen.

Und was ebenfalls auffallend war: Kein OB, kein OB-Kandidat, keine Repräsentanten der Stadtgesellschaft, der Religionsgemeinschaften waren vor Ort. Bestürzende Erkenntnis: Die Trauer um die Opfer, das Bekenntnis zu „unseren jüdischen Mitbürgern“ findet wohl im Saale, oder in einer tiefbetroffenen Pressemitteilung oder einfach gar nicht statt.

Das müsste eine mittlere Großstadt wie Hannover, die immer mal wieder Tausende und Zehntausende gegen Rechtsextremismus und rechten Terror auf die Straße gebracht hat, auch anders können.

Bilanz zwei Jahre danach

Zwei Jahre Terroranschlag der Hamas auf Israel, zwei Jahre fehlende Empathie mit den Opfern und ein Meer an Antisemitismus allerorten. Die Beteiligung an Trauer- und Gedenkveranstaltungen war und ist überschaubar, die Verklärung der Täter gigantisch und die Bedrohung von Jüdinnen und Juden in Deutschland, die schon vor dem 07.10.2023 mit nichts zu rechtfertigen war, hat weiter zugenommen.

Soweit die gruselige Bilanz zwei Jahre nach dem größten Massenmord an Jüdinnen und Juden seit dem Holocaust. Und um es noch einmal in aller Klarheit zu sagen: Die Terrorattacke auf Israel war kein Widerstandsakt, kein Teil eines Aufstandes und keine militärische Aktion in einem Krieg. Die Kämpfer der Hamas sind mit dem ausdrücklichen Ziel losgezogen, möglichst viele Juden zu entführen und zu ermorden! Und um an dieser Absicht ja keinen Zweifel zu hinterlassen, haben sie viel ihrer Verbrechen, der Folterungen, der Vergewaltigungen, der Entführungen und der Morde auch noch selbst gefilmt und gestreamt.

Wer das wissen will, kann es wissen. Wer eine Ahnung haben will, was an diesem Tag geschah, kann genug dazu schriftlich und im Internet finden – auch wenn die allerschlimmsten Dokumente des Horrors bis heute nicht oder nur schwer zugänglich sind.

Diese Barbarei vor Augen, gewinnt das dröhnende Schweige der Zivilgesellschaft nach dem 07.10.2023 noch mehr Gewicht. Und da lässt sich auch nicht hinwegtrösten mit den vielen eher kleinen Gedenkkundgebung und -veranstaltungen und die vielen Erklärungen aus der Politik und Medien. Wer sich seit längerem mit Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus öffentlich auseinandersetzt und dazu Veranstaltungen organisiert hat, weiß wie überschaubar in Deutschland die öffentlich bekundete Trauer und Empathie nach dem Massaker war,

Im Gegenteil, eine wahre Flut von Relativierungen, Bagatellisierungen, Rechtfertigungen oder sogar Unterstützungsbekenntnissen war und ist zu vernehmen.

Folgen

Natürlich kann des Anschlages vor zwei Jahren nicht gedacht werden, ohne über seine Folgen zu sprechen. Seine Folgen für die jüdische Community in Deutschland, in Europa und weltweit. Ein Anschlag, der noch einmal in Erinnerung gerufen hat, dass es auch 80 Jahre nach dem Sieg über den Nationalsozialismus immer noch keinen sicheren Ort für Jüdinnen und Juden gibt. Was der 07.10. 2023 eine verheerende Botschaft für alle Jüdinnen und Juden und insbesondere die In Israel bedeutet, kann man sich als nichtjüdischer Mensch, dessen Vorfahren nie von einem Holocaust betroffen waren, schwerlich ausmalen. Aber zumindest versuchen sollte man es vielleicht mal!

Der Krieg Israels im Gazastreifen als Folge des Hamasterrors hat immer noch kein Ende. Auch wenn man sich nicht in den Debatten um „Völkermord“ und „Genozid“ verheddern will: Es gibt nur wenige Beobachter/innen, die bei Krieg Israels im Gazastreifen nicht von Unmenschlichkeit und Kriegsverbrechen sprechen können. Und dass dieses Gemetzel von einer rechtsextremen Regierung betrieben wird, die nicht nur die Hamas vernichten will, sondern alle Palästinenserinnen und Palästinenser als Feinde sieht, ist offensichtlich.

Antisemitismus nimmt zu – weltweit und vor Ort

Wir stellen einen weltweit grassierenden und weiter zunehmenden aggressiven Antisemitismus fest. Jede Jüdin, jeder Jude wird zum Feind definiert – die Tatsache (oder Vermutung) des Jüdischseins reicht als Argument für verbale und körperliche Attacken, für Boykott, Anfeindungen und Ausschluss. Jüdinnen und Juden werden für den israelischen Krieg und für die Besatzung persönlich haftbar gemacht – egal, wo sie leben, was sie tun, wie sie denken. Auch das haben Redebeiträge betroffener Jüdinnen und Juden auf der Kundgebung am Dienstag in Hannover drastisch deutlich gemacht.

Die übergroße Mehrheit der israelischen Bevölkerung fordert ein Ende des Krieges, hunderttausende Israelis demonstrieren seit Monaten wöchentlich für die Rückkehr der Geiseln und für den Rücktritt die Regierung Netanjahu. (Undenkbar übrigens in den diktatorisch regierten arabischen Nachbarländern Israels.) Das alles aber schützt sie nicht vor der Kraft des antijüdischen Furors. Es zählt nicht, was sie tun und denken, es zählt nur, was sie angeblich sind.

Gegen Antisemitismus – jetzt!

Es ist höchste Zeit, den Kampf gegen Antisemitismus als Zivilgesellschaft endlich ernst zu nehmen. Die antisemitische Verrohung bedroht im Land der Täter wieder die Nachkommen der Opfer. Auf die Empörungen der Regierungsreaktionäre ist da wenig Verlass: Sie suchen autoritäre, einschränkende und ausgrenzende Lösungen beim Demonstrationsrecht, in der Migrationspolitik, in den Hochschulen und Museen, in den Medien. Sie hetzen gegen einen angeblich importierten Antisemitismus und nehmen diesen zum Anlass, Abschiebungen und rassistische Zuschreibungen zu begründen. Gerade so, als ob Deutsche ohne Einwanderungsgeschichte in den Jahrzehnten seit dem Holocaust nicht ausreichend antijüdisches Ressentiment und judenfeindliche Gewalt an den Tag gelegt hätten.

Dennoch, auch wenn es anstrengend bleibt, zum Kampf gegen Antisemitismus gibt es keine Alternative.