Leo Perutz / Bücher

Leo Perutz (eigentlich Leopold Perutz; * 2. November 1882 in Prag, Österreich-Ungarn; † 25. August 1957 in Bad Ischl, Oberösterreich) war ein deutschsprachiger Schriftsteller. Im bürgerlichen Beruf war er Versicherungsmathematiker.

Quelle: Wikipedia

Leo Perutz – ein Meister der fantastischen Literatur

Die Machtergreifung der Nationalsozialisten im Jahr 1933 führte zu einer beispiellosen Fluchtwelle von Künstlern und Intellektuellen aus Deutschland. Viele von ihnen waren jüdischer Herkunft oder hatten sich politisch gegen das Regime positioniert, andere passten schlicht nicht ins ideologische Korsett der Nationalsozialisten und wurden als „entartet“ diffamiert. Ihr Schicksal war äußerst vielfältig, von erfolgreicher Etablierung im Exil bis hin zu Verfolgung, Verarmung und Tod. Viele von ihnen waren vor 1933 sehr populär und wichtige Personen der Öffentlichkeit.

Für viele war der Neuanfang in einem fremden Land mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden: Sprachbarrieren, fehlende berufliche Netzwerke, finanzielle Not und die psychische Belastung durch die Flucht und den Verlust der Heimat.

Nur einem Teil der Künstler gelang es, im Exil ihre künstlerische Karriere fortzusetzen oder sich neu zu etablieren. Einige, wie der Filmregisseur Billy Wilder oder der Komponist Hanns Eisler, konnten in Hollywood Fuß fassen. Andere, wie die Schriftsteller Thomas und Heinrich Mann, konnten auch im Exil bedeutende Werke schaffen und hatten eine hohe internationale Reichweite.

Viele Künstler litten unter bitterer Armut und waren gezwungen, Gelegenheitsarbeiten anzunehmen, die nichts mit ihrer eigentlichen Berufung zu tun hatten. Ihre Werke wurden oft nicht wahrgenommen oder fanden kein Publikum.

Ein besonders schlimmes Schicksal ereilte diejenigen, die in Ländern Zuflucht gesucht hatten, die später ebenfalls von Deutschland besetzt wurden. Viele von ihnen wurden in Konzentrations- und Vernichtungslagern ermordet, darunter der Maler Felix Nussbaum, der in Belgien entdeckt und nach Auschwitz deportiert wurde, oder der Schauspieler Kurt Gerron, der im KZ Theresienstadt ermordet wurde. Auch Selbstmorde waren keine Seltenheit, ausgelöst durch Verzweiflung, Heimatlosigkeit und Erfolglosigkeit, wie im Fall von Ernst Toller.

Einige wenige konnten über die Jahre der Flucht ihre Bekanntheit und ihre Popularität erhalten bzw. nach dem Krieg daran wieder anknüpfen. Für die Mehrheit der geflüchteten Künstlerinnen und Künstler galt das nicht.

Leo Perutz

Leo Perutz (1882–1957) stellt eine der faszinierendsten, doch lange Zeit unterschätzten Persönlichkeiten der deutschsprachigen Literatur des 20. Jahrhunderts dar. Er wird als ein Meister der fantastischen Literatur gewürdigt, dessen Schaffen sich durch eine einzigartige Synthese aus historischer Präzision, fantastischen Elementen und psychologischer Tiefe auszeichnet. Trotz seiner beachtlichen Popularität in der Zwischenkriegszeit geriet Perutz nach dem Zweiten Weltkrieg weitgehend in Vergessenheit, bevor er seit den späten 1980er Jahren eine bemerkenswerte Wiederentdeckung erfuhr.

Biografie: Ein Leben zwischen Prag, Wien und dem Exil

Leopold Perutz wurde am 2. November 1882 in Prag geboren. Seine Familie, deren jüdische Wurzeln bis ins frühe 18. Jahrhundert in dieser Region zurückreichen, zog 1901 nach Wien.

Seine berufliche Laufbahn begann Perutz als Versicherungsmathematiker. Ab Oktober 1907 war er bei der Assicurazioni Generali in Triest tätig und wechselte 1908 zur Anker-Versicherung in Wien, wo er bis 1923 verblieb. In dieser Funktion berechnete er unter anderem Mortalitätstabellen und darauf basierende Versicherungssätze, wozu er auch Fachartikel veröffentlichte.

Perutz‘ beruflicher Hintergrund als Versicherungsmathematiker und die Entwicklung einer eigenen mathematischen Formel sind mehr als nur biografische Randnotizen. Sie verweisen auf eine Denkweise, die von Logik, Struktur und der Fähigkeit zur Konstruktion komplexer Systeme geprägt ist. Seine Fähigkeit, „glaubwürdige historische Berichte mit fantastischen Elementen und modernen Erzähltechniken zu verbinden, um Romane zu schaffen, die auf mehreren Bedeutungsebenen existieren“, kann als Ausdruck dieser dualen Begabung verstanden werden.

Literarische Anfänge und der Erste Weltkrieg

Perutz‘ literarische Karriere begann früh. Seine erste Prosaskizze erschien im Februar 1906 in der Zeitschrift Der Weg, gefolgt von einer Novelle im März 1907 in der Sonntags-Zeit. Sein Debütroman, Die dritte Kugel, erhielt er am 8. November 1915, nur einen Monat nach seinem Eintritt in die österreichische Armee.

Im August 1915 wurde Perutz zum Kriegsdienst eingezogen, nachdem er anfangs wegen Kurzsichtigkeit nicht berücksichtigt worden war. Er diente an der Ostfront, wo er schwer verwundet wurde. Nach seiner Genesung war er für die Militärpresse tätig. Im Gegensatz zu vielen anderen Schriftstellern seiner Zeit ließ sich Perutz 1914 nicht von der weit verbreiteten Kriegsbegeisterung mitreißen.

Seine Beschreibungen der „grausamen Realitäten einer Armee“ und der „brutalen Sentimentalität des Soldatentums“ wirken authentisch, gerade weil sie nicht von nationalistischer Verklärung geprägt sind. Diese kritische, anti-nationalistische Haltung ist ein frühes Indiz für seine spätere literarische Auseinandersetzung mit Identität und der Manipulation von Geschichte.

Wiener Umfeld und Freundeskreis

Perutz verbrachte einen Großteil seines Lebens bis 1938 in Wien. Dort pflegte er enge Kontakte zu bedeutenden Persönlichkeiten der Wiener Moderne, darunter Franz Werfel, Alfred Polgar, Richard A. Bermann und Rudolf Olden. Perutz verfolgte das kulturelle Leben der Stadt aufmerksam und besuchte regelmäßig Lesungen von Karl Kraus, der ein einflussreiches literarisches Vorbild für ihn war.

Neben seinen Romanen veröffentlichte er weiterhin Rezensionen und Erzählungen. Zwischen 1919 und 1920 schrieb er für die linke Wiener Tageszeitung Der Neue Tag. Ab 1922 lebte er mit seiner ersten Frau Ida Weil, die er im März 1918 geheiratet hatte, und ihren beiden Töchtern Michaela (geb. 1920) und Leonore (geb. 1922) in der Porzellangasse 37 in Wien. Nach der Geburt ihres Sohnes Felix im Jahr 1928 verstarb Ida an den Folgen einer Lungenentzündung. Perutz heiratete 1935 Grete Humburger.

Robert Musil den Begriff der „journalistischen Dichtung“ in Bezug auf Perutz‘ Stil. Seine Bezeichnung von Perutz‘ Stil als „journalistische Dichtung“ ist eine vielschichtige Aussage. Sie kann als Anerkennung von Perutz‘ Fähigkeit verstanden werden, historische und fantastische Stoffe mit einer unaufgeregten, fast dokumentarischen Authentizität zu erzählen, die an journalistische Präzision erinnert. Diese Technik und das schnelle Tempo  in Verbindung mit der surrealen Komplexität der Themen zeigen, dass Perutz einen Stil entwickelte, der seiner Zeit voraus war und Elemente des späteren Magischen Realismus vorwegnahm. Es ist ein Stil, der das Wunderbare und Unbegreifliche mit einer „unbewegten Miene“ erzählt, wie Daniel Kehlmann es später formulierte.

Exil in Palästina: Herausforderungen und literarische Stille

Nach dem „Anschluss“ Österreichs an Nazideutschland im März 1938 wurde Perutz als Jude zur Emigration gezwungen. Obwohl er der Emigration zunächst skeptisch gegenüberstand, emigrierte er im Juli 1938 über Italien nach Palästina. In seinem Zufluchtsland Palästina, dem späteren Israel, fand er zeitlebens keine literarische Anerkennung. Die Hitze Tel Avivs war ihm zuwider, und er war dem Zionismus weniger zugeneigt als sein Bruder Hans, der sich bereits dort niedergelassen hatte. Dies machte ihn zu einem „Außenseiter im neugeborenen Israel“.

Es fiel ihm schwer, sich zum Schreiben zu motivieren, und seine finanzielle Lage verbesserte sich erst, nachdem er nach Kriegsende eine Anstellung als Versicherungsmathematiker annahm.

Perutz blieb auch in Israel ein deutschsprachiger Schriftsteller und hoffte insgeheim auf erneute Anerkennung bei einem deutschsprachigen Lesepublikum. Er äußerte sich besorgt, ob Verlage, Zeitschriften oder Filmgesellschaften seinen Namen nach dem Krieg noch kennen würden. Während dieser Zeit schrieb er nur wenig, betrieb aber weiterhin Recherchen für einige ältere Projekte. Ab 1941 erschienen in Argentinien einige seiner Romane in spanischer Übersetzung, vermittelt und unterstützt von der Emigrantin Annie Reney und dem renommierten Autor Jorge Luis Borges.

Das erzwungene Exil nach Palästina stellt eine tiefe Zäsur in Perutz‘ Leben und literarischer Karriere dar. Die fehlende literarische Anerkennung und die Schwierigkeit, die Motivation zum Schreiben aufrechtzuerhalten, zeigen die verheerenden Auswirkungen der Vertreibung. Dies führte zu einer Phase der literarischen Stille und trug dazu bei, dass er nach 1945 in Deutschland und Österreich nicht an seine früheren Erfolge anknüpfen konnte. Die Unterstützung durch Borges in Argentinien war ein seltener Lichtblick in dieser schwierigen Phase und ein früher Hinweis auf seine spätere internationale Wertschätzung.

Rückkehr nach Österreich und letzte Jahre

Ab etwa 1950 verbrachte Perutz regelmäßig die Sommer- und Herbstmonate in Österreich, insbesondere im Salzkammergut (St. Wolfgang) und in Wien.

1952 erwarb er erneut die österreichische Staatsbürgerschaft, kehrte aber nicht dauerhaft zurück. Er verstarb am 25. August 1957 in Bad Ischl, Österreich, wenige Monate vor seinem 75. Geburtstag.

Sein 1953 in Frankfurt am Main erschienener Roman Nachts unter der steinernen Brücke erhielt zwar viele positive Rezensionen, doch der Verlag ging kurz darauf in Konkurs, was den Vertrieb des Buches behinderte. Sein letzter Roman, Der Judas des Leonardo, wurde posthum 1959 veröffentlicht. Er hatte ihn kurz vor seinem Tod auf der Überfahrt nach Italien im Juli 1957 vollendet.

Das literarische Werk

Leo Perutz‘ umfangreiches Werk umfasst Romane, Novellen, Kurzgeschichten, Theaterstücke, Reiseberichte und Dramen. Insgesamt verfasste er elf Romane, ergänzt durch zahlreiche weitere kürzere Prosaarbeiten und Übersetzungen, insbesondere in der produktiven Zwischenkriegszeit.

Werke – ohne Anspruch auf Vollständigkeit

  • Die dritte Kugel (Roman, 1915): Sein erster Roman, der kurz nach seinem Eintritt in die Armee erschien, wurde von Kritikern wie Kurt Tucholsky positiv aufgenommen.
  • Das Mangobaumwunder (Roman 1916): Verfasst gemeinsam mit dem Schriftsteller und Drehbuchautor Paul Frank, der ebenfalls 1938 emigrieren musste.
  • Zwischen neun und neun (Roman, 1918): Dieses Werk markierte Perutz‘ literarischen Durchbruch und wurde sogar von einer Filmgesellschaft aufgegriffen.
  • Der Marques de Bolibar (Roman, 1920): Dieses Werk fand die Bewunderung von Jorge Luis Borges1 und wurde 1962 in Frankreich mit dem Prix Nocturne ausgezeichnet.
  • Der Meister des Jüngsten Tages (Roman, 1923): Ein großer Erfolg bei Publikum und Kritik, der in viele Sprachen übersetzt wurde und Perutz während seines Exils eine wichtige finanzielle Grundlage bot.
  • Wohin rollst du, Äpfelchen? (Roman, 1928): Dieses Werk war Perutz‘ größter Verkaufserfolg und erreichte durch den Abdruck in der Berliner Illustrierten Zeitung Millionen von Lesern.
  • Der Kosak und die Nachtigall (Roman 1928): Verfasst gemeinsam mit dem Schriftsteller und Drehbuchautor Paul Frank.
  • St. Petri-Schnee (Roman, 1933): Das Werk kann auch als Allegorie auf den aufkommenden Faschismus gelesen werden.
  • Der schwedische Reiter (Roman, 1936): Dieses Werk ist das erste seiner Romane, das ein direkt spirituelles Element enthält und Perutz‘ Obsession mit wechselnden Identitäten auf die Ebene einer Fabel oder Parabel hebt.
  • Nachts unter der steinernen Brücke (Roman, 1953): Ein Roman, der im alten Prag spielt und als eines seiner bedeutendsten Werke gilt.
  • Der Judas des Leonardo (Roman, posthum 1959): Perutz vollendete dieses Werk kurz vor seinem Tod.
  • Herr, erbarme Dich meiner (Erzählungen, 1995)
  • Mainacht in Wien (Romanfragmente, Kleine Erzählprosa, Feuilletons, 1996)

Und über Leo Perutz:

  • Leo Perutz 1882 – 1957, Eine Ausstellung der Deutschen Bibliothek Frankfurt am Main (Katalog, 1989)
  • Hans-Harald Müller: Leo Perutz (Biografie,1992)
  • Ulrike Siebauer: Leo Perutz – „Ich kenne alles. Alles, nur nicht mich“ (Biografie, 2001)

Nachkriegszeit

Trotz der Wiederentdeckung und der Neuauflagen bei unterschiedlichen Verlagen (zum Teil auch als Taschenbuch) ist Leo Perutz einer der eher weniger bekannten Literaten. Seine Rezeption nach 1945 erinnert an den unglaublichen kulturellen Verlust, der mit den 13 Jahren der nationalsozialistischen Herrschaft einher ging: Die Machtergreifung der Nationalsozialisten im Jahr 1933 führte zu einer beispiellosen Fluchtwelle von Künstlern und Intellektuellen aus Deutschland und Österreich. Viele von ihnen waren jüdischer Herkunft oder hatten sich politisch gegen das Regime positioniert, andere passten schlicht nicht ins ideologische Korsett der Nationalsozialisten und wurden als „entartet“ diffamiert. Ihr Schicksal war äußerst vielfältig, von erfolgreicher Etablierung im Exil bis hin zu Verfolgung, Verarmung und Tod.

Betroffen von der Flucht war nicht nur die Literatur, sondern auch die Musik, die Malerei, die Bildhauerei, die Architektur, die Schauspielkunst sowie große Teil des intellektuellen Lebens Deutschlands und Österreichs.

Nur eine Minderheit der Geflüchteten konnten im Exil ihre künstlerische Arbeit uneingeschränkt fortführen. Viele kämpften mit materiellen Schwierigkeiten, sprachlichen Problemen, dem Verlust ihres kulturellen und sozialen Umfeldes, mit Krankheiten und zum Teil auch mit Ausgrenzung und Verfolgung.

Die öffentliche Wahrnehmung der geflüchteten Künstler in Deutschland nach 1945 war lange Zeit kaum gegeben bzw. ambivalent:

  • „Stunde Null“ vs. Kontinuität: Nach 1945 gab es in Westdeutschland oft das Bestreben, einen „Neuanfang“ in der Kunst zu proklamieren, der sich bewusst von der Kunst unter den Nationalsozialisten abgrenzte, aber auch nicht auf der Kultur vor 1933 aufbaute. Gleichzeitig blieben viele Netzwerke und Personen aus der NS-Zeit in der Kunst- und Kulturszene aktiv.
  • Verdrängung und Schweigen: Das Schicksal der Exilanten wurde lange Zeit kaum thematisiert. Eine umfassende Auseinandersetzung mit der „verlorenen Generation“ der Emigranten fand nur zögerlich statt. Die Rückkehr einiger Künstler wurde nicht immer enthusiastisch begrüßt, teils stießen sie auf Unverständnis und Ablehnung.
  • Wiederentdeckung und Rehabilitierung: Erst Jahrzehnte später begann eine breitere Wiederentdeckung und Rehabilitierung der Exilkünstler. Ausstellungen, Forschungsarbeiten und Publikationen trugen dazu bei, ihr Werk und ihr Schicksal ins Bewusstsein zu rücken. Dies ist ein fortlaufender Prozess.
  • Unterschiede zwischen Ost und West: In der DDR wurde die Exilliteratur und Kunst oft anders rezipiert als in der BRD, insbesondere wenn die Künstler eine Nähe zum Sozialismus hatten (z.B. Brecht).

Insgesamt lässt sich sagen, dass viele geflüchtete Künstler zwar den Faschismus körperlich überlebt haben, ihr Überleben im Exil aber oft mit enormen persönlichen und beruflichen Entbehrungen verbunden war. Ihre Werke und ihr Beitrag zur deutschen Kultur wurden in der unmittelbaren Nachkriegszeit in Deutschland lange Zeit nicht ausreichend gewürdigt, die Aufarbeitung begann erst allmählich und ist bis heute nicht abgeschlossen.

Leo Perutz steht da einerseits für viele andere Künstlerinnen und Künstler. Andererseits gibt es mit ihm aber einen ganz besonderen Autor kennenzulernen.

Tipp: Einfach mal lesen!